Co-Chief Karsten’s German Weekly Letter 4
(blog posted for Karsten Gohl)
IODP Expedition 379 ins Amundsenmeer (Westantarktis) mit dem Forschungsbohrschiff JOIDES Resolution
Wochenbrief Nr. 4 11.2. bis 17.2.2019
Es war zum Verzweifeln … Fast eine Woche gab es keine neuen Sedimentkerne aus Tiefen unterhalb der letzten Bohrtiefe von 393 m an dieser Bohrstation. Ein Eisberg nach dem anderen gab sich die Klinke in die Hand, und alle kamen in die rote Zone zum Schiff, so dass nicht weitergebohrt werden durfte. Zwar musste das Bohrloch nicht immer komplett verlassen werden, aber niemals reichte die Zeit, um wieder in die alte Tiefe zurückzukommen, bevor sich ein neuer Eisberg näherte. Die große Häufigkeit von Eisbergen ist zuvor in dieser Region noch nicht in diesem extremen Ausmaß beobachtet worden. Die fast täglich eintreffenden Satellitenbilder des DLR machen das ganze Ausmaß sichtbar.
Nachdem wir das Bohrloch dann doch wieder verlassen mussten, um einem Eisberg auszuweichen, wurde entschieden, ein neu entwickeltes Wiedereintrittssystem (re-entry system) einzusetzen. Es besteht im Wesentlichen aus einem Trichter von 2,3 m Durchmesser, der auf einer schweren Bodenplatte montiert ist. Es war eine gewaltige Aktion der unermüdlichen Bohrtechniker, diesen Trichter über dem Moon Pool zu montieren. Um den Bohrstrang hindurchzustecken, damit der Trichter in die Tiefe hinabsinken kann, musste der Strang erst komplett aus 4000 m Tiefe an Deck geholt werden und wurde anschließend erneut zum Meeresboden hinabgesteckt. Die ganze Aktion hat über 24 Stunden gedauert, da auch Teile des Drill Floor und des Moon Pool dafür ab- und wieder anmontiert werden mussten. Nach nur wenigen Stunden des Bohrens musste sich das Wiedereintrittssystem erstmals bewähren, denn wieder rauschte ein Eisberg heran. Zurück an der Bohrstelle senkten wir einen Kameraschlitten in die Tiefe zum unteren Ende des Bohrstrangs und – Bingo – der Trichter war nur in wenigen Metern Entfernung zu sehen. Langsam tastete sich einer der Offiziere mit dem dynamischen Positionierungssystem des Schiffs Zentimeter für Zentimeter an den Trichter heran, bis der Bohrstrang eingefädelt werden konnte. Man stelle sich vor, ein Bindfaden müsste vom 30. Stock eines Hochhauses aus in ein nur 5 cm breites Loch im Erdgeschoss gefädelt werden … nicht einfach. Dann ging es schnell wieder auf die ursprüngliche Bohrtiefe, und es konnte weiter gebohrt werden.
Das lange Warten auf die nächsten Bohrkerne haben die Teams in den Laboren sehr gut genutzt, um weitere Analysen an den bisherigen Kernen und ihren Daten vorzunehmen. Ich möchte die Labore kurz vorstellen: Schon kurz nach dem Anliefern der Kerne vom Drill Floor auf den „Catwalk“ entnimmt die Geochemiegruppe Proben für die Analyse des Porenwassers nach chemischer Zusammensetzung und für mikrobiologische Untersuchungen. Nachdem die Sedimentkerne vom „Catwalk“ ins Labor getragen und ihre Liner dort durch ein Laser-Chiffriergerät mit Codes versehen werden, schieben wir sie durch ein Röntgengerät, um sofort ihre innere Struktur zu erkennen. Sie müssen dann 4 Stunden lang auf die Labortemperatur gebracht werden, bis sich die Sedimentphysikgruppe ihrer annimmt und die physikalischen Eigenschaften, wie Dichte, magnetische Eigenschaften, akustische Geschwindigkeiten, natürliche Gamma-Strahlung, Wärmeleitfähigkeit misst. Erst danach werden die Kerne in zwei Hälften geschnitten, wobei eine als Archivhälfte so gut wie unberührt bleibt und die andere als Arbeitshälfte für weitere Beprobungen zur Verfügung steht. An der Archivhälfte werden dann von der Paläomagnetikgruppe diverse magnetische Messungen (dienen unter anderem der Altersbestimmung) durchgeführt. An den offenen Kernhälften können jetzt auch direkt am Sediment wiederholte und zusätzliche physikalischen Messungen z.B. Farbspektrum, Scherfestigkeit, Porenvolumen sowie Fotos gemacht werden. Das Kernbeschreibungsteam schaut sich dann die Kerne sehr intensiv an und beschreibt sie nach bestimmten Kriterien, wie z.B. Zusammensetzung, Korngrößen, Farbe, Muster, Einlagerungen und so weiter. Parallel arbeiten die Mikropaläontologen an Proben zur Bestimmung von Mikrofossilien (Algen, Einzeller) und fossilen Pflanzenpollen, die unter anderem ebenfalls für die Altersbestimmung des Sedimentmaterials benutzt werden. Alle aufgenommenen Daten und Beschreibungen gehen sofort in eine zentrale Datenbank ein, die von allen an Bord jederzeit eingesehen und genutzt werden kann.
In der Nacht zum Mittwoch weckte mich ein Anruf von der Brücke. Ein Schiff näherte sich; ein seltenes Ereignis in dieser Region. Es war das russische Forschungsschiff Akademik Karpinsky auf dem Weg in das westliche Amundsenmeer, um dort geophysikalische Messungen durchzuführen. Meine AWI-Kollegin Rachel fährt dort im Rahmen einer Kooperation mit den russischen Kollegen in St. Petersburg mit, um die Messungen zu begleiten. Denn diese Daten sind für uns wichtig, damit wir die Ergebnisse unserer Bohrungen mit denen im Rossmeer, in das der westantarktische Eisschild ebenfalls ausfließt, vergleichen können. Über den Schiffsfunk konnte ich mich versichern, dass es ihr gut geht und sie sich auf die kommende Vermessung freut.
Seit Einsetzen des Wiedereintrittstrichters können wir endlich weiterbohren und sind nach einer weiteren Unterbrechung bis zum Abschicken dieses Wochenbriefs (Sonntagabend) bis auf 504 m Tiefe gekommen. Die Qualität der Sedimentkerne ist erstaunlich gut.
Mit herzlichen Grüßen
Karsten Gohl Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI)
Offizielle tägliche und wöchentliche operative und wissenschaftliche Berichte der Expedition:
http://iodp.tamu.edu/scienceops/sitesumm.html
Offizielle Webseiten mit Medien-Links und Blogs zur Expedition:
http://iodp.tamu.edu/outreach/expeditions/amundsen_sea_ice_sheet_history.html
https://joidesresolution.org/expedition/379/
https://joidesresolution.org/karsten-letters/ (alle deutschsprachigen Wochenbriefe)